Flüstern in den Nebelwäldern

Die Nebelwälder östlich von Teutarya gelten seit jeher als verflucht. Manche sagen, dort lebten die Serevayn, die Schattenflüsterer; andere berichten von Geistern, die Reisende in die Irre locken. Mich jedoch zog es dorthin, denn jeder Barde muss Orte kennen, über die er singt.

Ich wanderte drei Tage, bis mich der Nebel vollends verschluckte. Die Bäume standen dicht, ihre Kronen schlossen sich wie ein Dach aus Finsternis. Der Boden war weich von Moos, doch unter jedem Schritt knarrte es, als ob unsichtbare Stimmen aufschrien. Kein Vogel sang, kein Wind regte sich – nur mein Atem hallte zwischen den Stämmen.

Da begann es: ein Flüstern. Erst leise, kaum hörbar, wie das Rascheln von Blättern. Doch je tiefer ich ging, desto klarer wurden die Stimmen. Sie sprachen nicht in einer Sprache, die ich verstand, sondern in Lauten, die mein Herz bedrängten – Zweifel, Ängste, Erinnerungen an Versagen. Ich fühlte, wie meine Schritte unsicher wurden.

Gerade als ich mich im Nebel verloren glaubte, erschien er: ein Hirsch, doch nicht aus Fleisch und Blut. Sein Leib schimmerte wie aus Nebel gewoben, seine Augen leuchteten weiß. Er stand reglos, blickte mich an – und das Flüstern verstummte. Dann wandte er sich um, langsam, und ging zwischen die Bäume. Ich folgte ihm, ohne zu wissen warum.

Nach wenigen Schritten lichtete sich der Nebel. Vor mir öffnete sich ein Pfad, der hinaus ins Tageslicht führte. Als ich mich umdrehte, war der Hirsch verschwunden. Nur das Flüstern kehrte für einen Augenblick zurück – doch diesmal klang es nicht drohend, sondern wie ein fernes Lied.

Seitdem weiß ich: Die Nebelwälder sind nicht nur ein Ort der Schatten. Sie sind ein Prüfstein. Wer sich der eigenen Furcht stellt, findet dort auch Führung. Manche nennen den Hirsch ein Gespenst. Ich aber sage: Er ist ein Bote zwischen den Welten, und sein Schweigen ist lauter als jedes Flüstern.

Aus den Notizen Lyrenor’s